Das Kasperlspiel vom Meister Siebentot

Albert Drach

Autor

Wien bis 1938

Albert Drach wurde am 17. Dezember 1902 als Sohn des jüdischen Paares Wilhelm Drach und dessen zweiter Frau, der Kaufmannstocher Jenny in Wien geboren.

Im Jahr 1908 während eines Familienurlaubs in Lunz am See bekommt Drach eine Wasserleiche zu Gesicht und beschließt als Schriftsteller unsterblich zu werden- die Weichen für seine erste Profession sind gestellt. Nach der Matura in Wien entschließt er sich dazu neben dem Schreiben (bereits 1919 erschien ein erster Gedichtband) Jura zu studieren- das Schreiben und die Juristerei werden ihn bis ins hohe Alter begleiten.

In den 20er Jahren verfasst Drach neben dem Studium vor allem Theaterstücke. So reicht er 1928 reicht sein Stück das „Satansspiel vom Göttlichen Marquis" auf Anraten von Anton Wildgans unter dem Titel „Marquis de Sade" an Hans Henny Jahnn, den diesjährigen Vertrauensmann des Kleist-Preis-Stiftungskomitees. Nach einem (nicht mehr verifizierbaren) Antwortschreiben Jahnns rechnet Drach fix mit dem Kleist-Preis, den allerdings Anna Seghers für ihre Erzählung „Aufstand der Fischer von St. Barbara" zugesprochen bekommt. Drach war zeitlebens der Auffassung, dass ihm der Preis gebührt hätte und dass sein Leben anders verlaufen wäre, wenn er ihn bekommen hätte.

Im selben Jahr in dem Hitler deutscher Kanzler wird, 1933, findet Drach in der Bibliothek des „Biene Maja"-Autors Waldemar Bonsels die Originalfassung von „Mein Kampf" (1925), aus der Rudolf Hess noch nicht die ärgsten Ungereimtheiten getilgt hat. Drach hält Hitler daraufhin für einen so dummen, wie bösartigen und gefährlichen Trottel. Das Stück „Kasperlspiel vom Meister Siebentot" wird Drachs Kommentar zu Hitler.

Obwohl ab Mitte der 30er Jahre die Ausschreitungen gegen ihn und andere Jüdinnen und Juden durch illegale NationalsozialistInnen zunehmen, trifft Drach für sich und seine Mutter keine Vorkehrungen für eine Ausreise (der Vater ist 1935 gestorben). Wie in Z. Z. das ist die Zwischenzeit beschrieben, verlässt er sich auf die Schutzfunktion, die der italienische Faschistenführer Benito Mussolini Ende August 1935 bei einem Treffen mit Adolf Hitler am Brenner für die Eigenstaatlichkeit Österreichs übernommen hat.

Ebenfalls 1935 vollendet er die erste Fassung des „Kasperlspiels vom Meister Siebentot", das er als Anti-Hitler-Stück konzipiert hat. Das Stück wird ihn bis zu seinem Lebensende begleiten. Von den vielen Fassungen ist die letzte auf das Jahr 1988 datiert.

Unmittelbar nach dem Anschluss bekommt Drach Besuch von SA-Männern, der glimpflich verläuft, weil sie Drachs „Kasperlspiel" nicht als das gesuchte Anti-Hitler-Stück identifizieren. Das Haus der Familie Drach, der Drachhof in Mödling, wird sukzessive enteignet; Mutter und Sohn werden immer mehr Räumlichkeiten entzogen.

Am 26. April 1938 wird Albert Drach vom nationalsozialistischen Mob dazu gezwungen, das Geschäft eines Juden mit den Worten zu beschmieren: „Nur ein Schwein kauft bei Juden ein." Am Tag darauf schließt Drach seine Anwaltskanzlei aus Protest.

Im Mai 1938 fährt Drach auf Drängen seiner Mutter nach Paris, um sich in Sachen Visum und Pensionszahlungen für die Mutter mit dem französischen Botschafter André François-Poncet in Verbindung zu setzen. Poncet gibt ihm ein Empfehlungsschreiben an den französischen Generalkonsul in Wien mit, seine falsche Einschätzung, dass Hitler bald gestürzt würde, lässt Drach weiter ausharren.

Flucht und Exil

Am 25. Oktober 1938, zwei Wochen vor der sogenannten Reichskristallnacht, flüchtet Albert Drach aus seiner Heimat. Seine Hoffnungen, die Präsenz der Mutter könne den kompletten Verlust des Mödlinger Hauses verhindern, werden enttäuscht. Schon zwei Wochen nach seiner Flucht, am 11. November, muss sie es für immer verlassen. Jenny Drach wird von der Israelitischen Kultusgemeinde eine Wohnung im Wien zugewiesen. Die Briefe der Mutter werden immer verzweifelter, am 28. Oktober 1939 stirbt Drachs Mutter im Spital der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien nach einer Gallenoperation an Herzversagen im Alter von 64 Jahren.

Im Februar 1939 trifft Drach in Nizza ein, wo er mit einigen Unterbrechungen bis 1947 bleiben wird.

Drach wird in seinen Exiljahren mehrmals verhaftet. Das erste Mal 1940 gelingt es ihm gerade noch rechtzeitig aus einem Lager in Nimes zu fliehen. Als 1942 auf der Wannsee-Konferenz die „Endlösung der Judenfrage" beschlossen wurde wird er kurz darauf im September erneut verhaftet und findet sich in einem Deportationszug wieder. In Rivesaltes werden, wie Drach in der „Unsentimentalen Reise" zynisch schreibt, „alle Krematoriumsanwärter gesammelt, sondiert und exportiert". Neben dem französischen, Kommandanten David-Gustav Humbert, sind auch Deutsche anwesend. Drach hat sich genau über die französische Gesetzeslage informiert, die sich in gewissen Details von den „Nürnberger Gesetzen" unterscheidet. Er legt dem Kommandanten seinen Heimatschein aus dem Jahr 1939 vor, dem ihm seine Mutter noch nachgeschickt hatte. Das dort eingetragene Kürzel „I.K.G." das für Israelitische Kultusgemeinde steht, übersetzt er mit: „Im katholischen Glauben." Darüber hinaus hat er Dokumente seiner Halbschwester dabei und gibt ihre katholische Mutter, Pyrker, als seine Mutter aus. Er argumentiert, dass er als Halbjude, der rechtzeitig, also schon im Jahr 1939, zur katholischen Glaubensgemeinschaft konvertiert sei, zwar nach deutschem, aber nicht nach französischem Recht als Jude gelten könne. Am nächsten Tag findet er seinen Namen tatsächlich auf einem Plakat: Nur wenige werden entlassen, er ist darunter. Drach hat sein Judentum verleugnet. Er kehrt nach Nizza zurück.

Am 9. September 1942 nimmt er sein Entlassungspapier entgegen und kehrt nach Nizza zurück. Dort schreibt er am „Goggelbuch". Es ist zu jener Zeit entstanden, von der die „Unsentimentale Reise" erzählt: Verfolgungserfahrungen, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Denn der fiktive christlich, deutsche Diener Goggel möchte vom Knecht zum Herrscher werden. Dabei spielt auch sein Ahnennachweis eine Rolle. Wie im Drama „Das Aneinandervorbeispiel", das Drach an seinem nächsten Fluchtpunkt in den französischen Meeralpen schreiben wird, wählt er als Zeit der Handlung das 16. Jahrhundert mit seinen Glaubenskriegen, der Inquisition und den Hexenverbrennungen. Zur literarischen Produktion des gefährdeten Exilanten gehört auch eine Unzahl von Gedichten. Die Zeit der ketzerischen „Entblößungen" ist vorbei. Drach schreibt die häufig gereimten und elegischen „Erbarmungen" und danach – Überschneidungen nicht ausgeschlossen – die kurzen, reimlosen „Ermordungen". Einige dieser Gedichte werden als Tagebuchaufzeichnungen in „Das Beileid" aufgenommen. 

In Sicherheit ist Drach trotz seines Entlassungspapiers aus Rivesaltes nach wie vor nicht; es wird bei der Fremdenpolizei nicht akzeptiert, vielmehr wird eine Bestätigung vom nun allein zuständigen „Generalkommissariat für Judenfragen" („Commissariat Général aux Questions Juives" ) verlangt. Während des Monate lang laufenden Verfahrens könnte er jederzeit neuerlich deportiert werden.

Nach Kriegsende beginnt Drach sich wieder Österreich zuzuwenden. Am 8. März 1946 verfasst er einen Brief an die „Interalliierte Kommission", in dem er sein Haus, den „Drach-Hof" in Mödling, zurückfordert. Aber es gibt zu diesem Zeitpunkt noch keine rechtliche Handhabe, um enteignetes Vermögen zurückzuerstatten. Das wird erst auf Basis des Ersten Rückstellungsgesetzes möglich, das zwei Monate nach Drachs Eingabe in Kraft tritt. Trotzdem erhält er weder sein Haus zurück, noch eine Verständigung. Inzwischen hat die sowjetische Besatzungsmacht Teile des Hauses beschlagnahmt und Ende 1946 ganz generell ein Veto gegen den Vollzug des Rückstellungsgesetzes in ihrer Zone eingelegt.

Drach ist unschlüssig, ob er nach Österreich zurückkehren oder in Frankreich bleiben soll. Tatsächlich stellt Drach am 26. August ein Einbürgerungsansuchen an Frankreich. Am 10. Oktober fährt Drach erstmals nach Wien, um die Rückstellung des Hauses selbst in die Hand zu nehmen.

Rückkehr nach Wien

Am 20. Oktober 1948 bringt er beim Arbeitsgericht in Wien Klage gegen seinen ehemaligen Hausmeister Franz Polzer ein, der ihn bei der Gestapo denunziert hatte. Da der Posten inzwischen aber auf dessen Frau Maria Polzer übergegangen ist, wird das Verfahren eingestellt. Am 30. Oktober eröffnet Albert Drach seine Anwaltskanzlei wieder. Nach und nach stellen sich KlientInnen ein, die allerdings zu wenig Geld haben, um ihn zu bezahlen.

Drach kommt langsam wieder in Österreich an. Ende 1951 lernt der mittlerweile beinahe 50-jährige Albert Drach die 19-jährige Gerty Rauch kennen, kurz darauf heiraten die beiden. Mit der Hochzeit hört sein Dasein als Gespenst nach vielen Jahren endlich wieder auf, wie er in „Das Beileid" schreibt.

Ab Mitte der 60er Jahre erscheinen erstmals gesammelte Schriften und erstmals steht Albert Drach als Autor im Fokus der öffentlichkeit. Vor allem sein in den späten 30er Jahren geschriebener Roman Protokoll gegen Zwetschkenbaum findet großen Anklang. Die späte Entdeckung eines Autors und seines Lebenswerks wird in den deutschsprachigen Feuilletons euphorisch gefeiert. Nach Jahrzehnten resonanzlosen Schreibens ist Drach endlich ein viel beachteter Autor.

Bis in die 80er Jahre verfasst und veröffentlicht er Romane, Erzählungen, Theaterstücke und führt seine Anwaltskanzlei. Beide Tätigkeiten muss er schließlich aufgeben, da er mit zunehmendem Alter unter schwindender Sehkraft leidet, die er selbst auf einen Fausschlag seines ehemaligen Verwalters des Drachhof in den 30er Jahren zurückführt.

Bis zu seinem Lebensende erhält Drach gelegentliche Ehrungen für sein schriftstelllerisches Schaffen, so zum Beispiel 1988 den Georg Büchner-Preis, 1990 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und den Manés Sperber-Preis.

Am 27. März 1995 stirbt Albert Drach nach langer Krankheit. Er erhält ein Ehrengrab am Mödlinger Friedhof, seine Frau eröffnet im Drach-Hof eine Gedenkstätte. Drachs Nachlass wird vom Österreichischen Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek angekauft, aufgearbeitet und erforscht. Wendelin Schmidt-Dengler hatte den Ankauf noch vor Drachs Tod mit ihm und seiner Frau vereinbart.

Quelle und ausführlichere Biographie unter

http://www.albert-drach.at/biographie/